Simone Raskob, Beigeordnete für Umwelt, Verkehr und Sport in Essen, spricht im Interview über ihre Erfahrungen mit Planungswettbewerben. Sie erläutert die Vorteile für Bauherren und Gesellschaft, die Herausforderungen bei der Durchführung und die Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit. Wettbewerbe bieten nicht nur Transparenz und vielfältige Lösungsansätze, sondern fördern auch die Akzeptanz in der Bevölkerung. Raskob betont die Bedeutung gründlicher Vorbereitung und kritischer Auseinandersetzung mit den Projektanforderungen, um nachhaltige und wirtschaftliche Bauprojekte zu realisieren.
IK-Bau NRW: Frau Raskob, können Sie uns von Ihren ersten persönlichen Erfahrungen mit Planungswettbewerben erzählen?
Simone Raskob: Ich war eine noch jüngere Stadtbaurätin der Stadt Göttingen und hatte dort die Gelegenheit, sehr viele Hochbau-Architektenwettbewerbe, aber auch Freianlagenwettbewerbe durchzuführen. Auch gestärkt durch einen Gestaltungsbeirat, den wir damals in Göttingen hatten. Ich habe überwiegend gute Erinnerungen, auch wenn es bei den ersten Wettbewerben nicht nur einstimmige Urteile gab.
IK-Bau NRW: Was heißt das konkret?
Simone Raskob: Wir haben in einer Jury Sach- und Fachpreisrichter. Die Fachpreisrichter sind in der Regel politisch besetzt. Wenn sie eine Schule bauen, sind dies Schulpolitiker, oder auch Politiker aus dem Bau- und Planungsausschuss. Manchmal kommt es zu einer Konfrontation zwischen Fach- und Sachpreisrichtern und es gibt eine Mehrheitsentscheidung eher gegen die Fachpreisrichter. Das sollte nicht passieren in einem Wettbewerb, und es ist mir auch nur einmal passiert.
IK-Bau NRW: Können Sie uns erläutern, welche Vorteile Planungswettbewerbe für Bauherren und die Gesellschaft insgesamt bieten können?
Simone Raskob: Ich glaube Wettbewerbe bieten die größte Transparenz im Planungsprozess und sie zwingen den Bauherrn, sich im Vorfeld des Wettbewerbes in der sogenannten Phase 0 Gedanken über das Raumprogramm zu machen. Also es qualifiziert die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem gewünschten Raumprogramm, das dann Grundlage des Wettbewerbs ist. Zudem erhält man Mehrfachlösungen, aus denen man wählen kann und in der Regel werden diese Wettbewerbsergebnisse auch umgesetzt.
IK-Bau NRW: Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch: Wenn ich einen erfolgreichen Wettbewerb haben will, dann muss ich mir als Auslober im Vorfeld sehr genau Gedanken darüber gemacht haben?
Simone Raskob: Es empfiehlt sich, als Bauherr in dieser Phase 0 auch mal eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben. Oder, wenn es um Spezialimmobilien geht, sich kritisch damit auseinandersetzen, ob das Nutzerraumprogramm in der Größe tatsächlich auch effektiv und wirtschaftlich sinnvoll ist. Ich denke hier an das Museum Folkwang, dass wir 2010 mit David Chipperfield gebaut haben. Wenn man einen Museumsdirektor fragt, wie viel Quadratmeter oder Kubikmeter umbauten Raum er möchte, dann erhält man eine andere Antwort, als wenn man jemanden fragt, der seit Jahren Museen plant und baut bzw. Wettbewerbe zu dieser Bauaufgabe begleitet. Gerade auch im Hinblick auf wirtschaftliche Notwendigkeiten und Langlebigkeit und Unterhaltungskosten.
IK-Bau NRW: Wie muss man die Weichen stellen, damit man die Teilnehmer am Wettbewerb bekommt, die man als Auslober auch haben möchte? Gibt es Dinge, die man falsch machen kann, vielleicht gerade als kleinere, unerfahrene Kommune?
Simone Raskob: Es hat sich im Sinne der Qualitätssicherung bewährt, nicht nur aus den Teilnehmern, die sich bewerben zu losen, sondern auch Teilnehmer zu setzen.
IK-Bau NRW: Welche Rolle spielen aus ihrer Sicht interdisziplinäre Wettbewerbe?
Simone Raskob: Bei uns sind alle Wettbewerbe interdisziplinär ausgeschrieben. Es gibt eine Verpflichtung, dass sich eine Arbeitsgemeinschaft bewirbt. Diese besteht in der Regel aus einem Architekten und aus Ingenieuren ganz unterschiedlicher Fachrichtungen. Gerade das Thema nachhaltiges Bauen, klimaneutrales Bauen, stellt große Anforderungen an die Haustechnik. Aber es gibt eben auch die Freianlagen, die Landschaftsarchitekten, und im Ruhrgebiet haben wir sehr viele Böden, die Altlasten haben, das heißt, sie brauchen häufig einen Bodengutachter. Auch der Verkehr und generell das Thema Mobilität spielen eine immer größere Rolle bei öffentlichen Bauten. Es ist immer ein Team und in der Regel sind sogar mehr Ingenieure dabei als Architekten.
IK-Bau NRW: Bildet auch das Preisgericht die unterschiedlichen Fachdisziplinen ab?
Simone Raskob: In unseren Preisgerichten sitzt immer ein Fachpreisrichter mehr als Sachpreisrichter. Je nach Bauaufgabe sitzen auch Ingenieure im Preisgericht. Es ist ein Hochbauarchitekt dabei, aber es sind genauso Tragwerksplaner oder Ingenieure für nachhaltiges Bauen vertreten. Energieeffizientes Bauen wird immer wichtiger, die Folgekosten, die Lebenszykluskosten spielen eine immer größere Rolle. Zudem sind Landschaftsarchitekten in der Jury und bei größeren Projekten, bei denen der Verkehr relevant ist, ist auch ein Verkehrsingenieur dabei
IK-Bau NRW: Wie gut gelingt es Ihnen, die unterschiedlichen Rollen im Preisgericht auch zu besetzen?
Simone Raskob: Wir arbeiten mit Wettbewerbsmanagementbüros. Als Stadtverwaltung haben sie weder die Zeit noch die Kapazitäten, alle Wettbewerbe selbst zu organisieren. Diese Büros sind sehr gut vernetzt und verfügen über ein Netzwerk an Fachpreisrichtern. Wichtig ist in diesem Kontext auch die Vorprüfung. In der Vorprüfung sitzen sehr viele Fachleute, Ingenieure aus eigenen Institutionen, aber auch Dritte. Der Vorprüfbericht wird vom Wettbewerbsmanagement erstellt und liegt am Tag der Jurysitzung auf dem Tisch. Ein guter Vorprüfbericht ist schon die halbe Miete, um ein qualitätsvolles Juryergebnis zu erhalten.
IK-Bau NRW: Wie wird man ein guter Fachpreisrichter? Ist das nur einer Frage der Erfahrung oder gibt es hier auch Seminar- oder Fortbildungsangebote?
Simone Raskob: Die Idee, dass man hier auch mal schulen könnte, finde ich spannend. Es ist so, dass viele Fachpreisrichter nicht nur ein eigenes Büro besitzen, sondern auch an einer Hochschule lehren und es somit gewohnt sind, Arbeiten von Studierenden zu beurteilen oder Doktorarbeiten zu betreuen. Es gibt eine gewisse Zahl von Jurymitgliedern in Deutschland, die immer wieder gefragt werden, weil sie gut sind. Aber es gibt natürlich auch Büroinhaber, die bewusst nicht in eine Jury gehen, weil sie sich die Teilnahme am Wettbewerb offen halten möchten.
IK-Bau NRW: Welchen Einfluss haben Planungswettbewerbe denn auf die öffentliche Meinung und die Bürgerbeteiligung?
Simone Raskob: Wettbewerbe erhöhen die Transparenz und die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung. Direktbeauftragungen für ein großes öffentliches Bauvorhaben kann man viel eher kritisieren als eine Arbeit, die in einem Wettbewerbsverfahren unter Beteiligung vieler Experten und der Nutzer ausgesucht worden sind. Die Akzeptanz wird durch einen Wettbewerb deutlich erhöht, das gilt für die allgemeine Öffentlichkeit und für die Politik. Ich habe keinen Wettbewerb in Erinnerung, bei dem ein Ergebnis ohne das eindeutige Votum der Nutzerseite zustande gekommen ist. Sie können in einem Wettbewerb nicht gegen die Nutzer entscheiden.
IK-Bau NRW: Begleiten Sie in Essen die Wettbewerbe durch Veranstaltungen, in denen Sie die Öffentlichkeit mitnehmen?
Simone Raskob: Ja, wir organisieren Ausstellungen zu den Wettbewerben. Aktuell haben wir die Jurysitzung zum Neubau des Eingangsgebäudes im Grugapark durch eine Ausstellung begleitet. Wir laden also alle Preisträger, die Politik und dann gibt es eine mehrwöchige Ausstellung mit Führungen. Da 1,1 Millionen Menschen den Grugapark pro Jahr besuchen und diese Ausstellung zugänglich ist, werden auch viele Leute kommen.
IK-Bau NRW: Sie haben gerade ein aktuelles Projekt in Essen angesprochen. Können Sie weitere Beispiele nennen, die im Zusammenhang mit Wettbewerben entstanden sind oder gerade entstehen?
Simone Raskob: Wir bauen derzeit sehr viele Schulen. Die Gesamtschule Bockmühle – fünfzügig - war vor anderthalb Jahren ein Riesenwettbewerb. Die Frida Levy Gesamtschule ist vor einem Dreivierteljahr entschieden worden. Das Leibniz Gymnasium ist aus einem Wettbewerb hervorgegangen. Die Städte sind im Augenblick sehr stark unter Zeitdruck, was die Errichtung von Schulbauten und Kitas angeht. In diesem Kontext sagen viele, Wettbewerbe kosten Zeit und das können wir uns nicht mehr leisten. Wir machen jetzt nur noch Modulbauten für Schulen. Ich halte das für eine falsche Strategie. Ich glaube, dass für große Schulbauprojekte, und jetzt rede ich wirklich von großen Projekten, das sind Baumaßnahmen zwischen 80 und 200. Mio. Euro Wettbewerbe sinnvoll sind. Ich bin davon überzeugt, dass sie mit einem Wettbewerb am Ende die höhere Qualität und auch den besseren Preis erhalten, selbst wenn er ein halbes Jahr nachdenken bedeutet, bis man ein Raumprogramm definiert und den Wettbewerb ausgelobt hat. Die Modulbauten braucht man für bestimmte Bauaufgaben auch. Aber das darf nicht die Standardbauweise werden. Bei den Spezialbauten läuft zurzeit der Wettbewerb, ein VGV-Verfahren mit integrierter Planungsleistung für die Sanierung des Gruga-Bades. Wir führen auch Wettbewerbe für andere Sportimmobilien durch, weil diese ähnlich den Schulbauten in den nächsten Jahren alle saniert werden müssen. In der Regel geht es um eine Mischung aus Teilneubau und Sanierung. Totalabriss und Neubau werden seltener, weil die Nachhaltigkeit der Bausubstanz im Vordergrund steht, so dass immer mehr Objekte saniert werden. Sanierungswettbewerbe sind dabei anspruchsvoller als ein Neubau. Aus diesem Grund rücken Wettbewerbe bei Bestandsimmobilien jetzt in den Blickpunkt.
IK-Bau NRW: Können Sie noch etwas genauer beschreiben, wie sich die Anforderungen verändert haben?
Simone Raskob: Ja, die Vorprüfer sind andere als früher. Es sind viel mehr Ingenieure dabei in Bezug auf Lebenszykluskosten, Energieverbrauch, Facility Management im Betrieb und es wird sehr viel mehr Wert auf den Erhalt von Bausubstanz gelegt.
IK-Bau NRW: Wenn dann am Ende doch abgerissen werden muss, welche Rolle spielt das Thema Kreislaufwirtschaft?
Simone Raskob: In Essen gibt es auch den Ansatz Cradle-to-Cradle. Aus dem Wettbewerb zum Neubau der RAG-Verwaltung auf der Zeche Zollverein ist jetzt der erste Cradle-to-Cradle-Bau entstanden. Dort wurde jedes Bauteil über BIM verzeichnet, so dass man auch in 30 bis 40 Jahren noch weiß, welches Bauteil wo eingebaut wurde und es auch wieder zurückbauen und wiederverwenden kann. Der Cradle-to-Cradle-Ansatz ist jedoch noch keine Standardbauweise. Wir haben uns auf den Baustandard nach BNB-Silber festgelegt, darin sind bestimmte Qualitätsmaßstäbe enthalten. Beim Wettbewerb zum Neubau des neuen Eingangsgebäudes im Grugapark haben wir DGNB-Gold angesetzt mit Hinweis in Richtung Platin. Das ist eine große Herausforderung an alle Beteiligten, aber eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen.
Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW.