Im Gespräch mit der IK-Bau NRW erklärt der Ingenieur und Experte für nachhaltiges Bauen, Marc Blum, wie die Europäische Union auch durch den Aktionsplan für eine zirkuläre Kreislaufwirtschaft (CEAP) das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen will. Er erläutert die Vorteile der Wiederverwendung von Stahl im Bauwesen, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die praktischen Herausforderungen.
IK-Bau NRW: Könnten Sie uns einen kurzen Überblick über das europäische Ziel der „Klimaneutralität“ im Bauwesen geben. Welche Vorteile hat die Wiederverwendung von Stahl im Bauwesen in diesem Kontext?
Marc Blum: Die Europäische Kommission hat im März 2020 im Rahmen des „New Green Deal“ auch den neuen Aktionsplan für eine zirkuläre Kreislaufwirtschaft (CEAP) eingeführt. Der Übergang der EU zu dieser zirkulären Kreislaufwirtschaft wird den Nachfragedruck auf die natürlichen und primären Ressourcen verringern und nachhaltiges Wachstum und Arbeitsplätze, sowie neue „grüne“ Märkte für sekundär gewonnene Ressourcen schaffen. Damit sind dann auch die Voraussetzungen gegeben, um das Klimaneutralitätsziel der EU für 2050 zu erreichen. Dem EU-Bausektor mit seinem hohen Ressourcenverbrauch und Abfallaufkommen in allen Phasen des Lebenszyklus eines Gebäudes oder Bauwerks, kommen hierbei über die Wiederoder Weiterverwendung von Baustoffen und Bauprodukten i.A. sehr große Hebeleffekte zu, um Treibhausgase einzusparen sowie das Abfallaufkommen deutlich zu reduzieren. Dabei gilt für alle Baustoffe und -produkte das gleiche Ziel, an dem sie sich alle messen lassen müssen: Dies lautet „Race-2-Triple Zero“ – also No Emissions, no Pollutions, no Waste. Wenn nun die Bauabfälle zukünftig zunächst für eine zirkuläre Anschlussnutzung auf Produktenebene vorgesehen sind, dann müssen wir auch über die Themen „Sortenreinheit, selektiver Rückbau und Demontierbarkeit“ und gerade nicht über Abfall sprechen. Und genau hier liegen die Vorteile in der Wiederund Weiterverwendung von Stahl im Bauwesen; denn gerade mit Fokus auf den Hoch- und Tiefbau liegen i.d.R. geschraubte Stahlbauteile vor, welche schnell und einfach durch Demontage selektiv zurückgebaut werden können.
IK-Bau NRW: Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich intensiv mit dem Thema "REUSE STEEL" zu beschäftigen?
Marc Blum: Blicken wir zurück auf die Anfänge der Metallverarbeitung, dann waren die mühsam gewonnenen Metalle schlicht weg viel zu wertvoll, als dass man die Überschüsse respektive den Verschnitt einfach entsorgt hätte. Vielmehr wurden früher beispielsweise beim Schmieden oder Vergießen von Eisen und Stahl die Überschüsse bzw. der Verschnitt irgendwie wieder- oder weiterverwendet. Der Luxus, diese zu entsorgen, ist irrigerweise erst in der jüngeren Konsumgeschichte der letzten Jahrzehnte entstanden. Persönlich und im privaten Bereich habe ich schon immer metallische Produkte gesammelt und wieder- oder weiterverwendet; das schont nicht nur die Ressourcen, sondern auch den Geldbeutel. Da meine beruflichen Wurzeln – Industrieschlosser und Stahl- und Metallbauingenieur − in der Metallverarbeitung liegen, habe ich schon sehr früh die nachhaltigen Potenziale von Baustahl erkannt. So wird bereits seit den 1980er Jahren profilierter Langstahl in Westeuropa in modernen Elektroöfen zu 100 Prozent aus Schrott produziert. In den Bereichen Tiefbau werden schon seit jeher Spundwände oder Profile des „Berliner Verbaus“ mehrfach durch Wiederverwendung weitergenutzt. Was dort erfolgreich gelebt wird, kann man aber auch an anderer Stelle im Hochbau sofort über „REUSE Steel“ erfolgreich umsetzen.
IK-Bau NRW: Welche rechtlichen Vorgaben müssen bei der Wiederverwendung von Stahl beachtet werden?
Marc Blum: Hinsichtlich der rechtlichen Vorgaben müssen wir bei der Wiederverwendung von Stahl in Deutschland nach Verwendungsrecht und Anwendungsrecht unterscheiden: Beim Verwendungsrecht ergibt sich bereits eine rechtliche Verpflichtung über die EU-Bauproduktenverordnung (305/11 – Anhang I – Kap. 7) seit Sommer 2013, die Bauprodukte beim Um- oder Rückbau primär wiederzuverwenden. Mit der in der zweiten Jahreshälfte 2024 anstehenden Novellierung dieser EU-Bauproduktenverordnung erhalten die zukünftigen Themen „Reparierbarkeit (REPAIR), Wiederverwendung (REUSE), Weiterverwendung respektive Umfunktionieren (REPURPOSE); Sanierung (REFURBISH) oder die Wiederaufbereitung (REMANUFACTURE)“ von Bauprodukten eine rechtlich völlig neue Bedeutung und diese Themen sollen dann vorrangig abgefragt werden. Hilfreich ist hier eine umfangreiche CE-Konformitätsdokumentation der Stahlbauteile nach DIN EN 1090-2 und DIN EN 10204, welche laut der Novellierung zur EU-Bauproduktenverordnung eins zu eins genutzt werden kann. Das Anwendungsrecht ist zunächst weiterhin national geregelt und will man zukünftig Stahlbauteile in Deutschland wieder- oder weiterverwenden, dann ist der gegenwärtige Rechtsrahmen dazu entweder die Zustimmung im Einzelfall (ZiE) oder eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG). Hierfür bedarf es dann immer eines projektbezogenen Fachgutachtens durch eine besonders sachkundige Person, die über ein bestimmtes Protokoll – dazu später – die Stahlbauteile dann für die neue Wieder- oder Weiterverwendung requalifiziert.
IK-Bau NRW: Welche spezifischen Eigenschaften machen Stahl besonders geeignet für die Wieder- oder Weiterverwendung im Bauwesen?
Marc Blum: Bei den Stahlbaukonstruktionen werden i.d.R. standardisierte Bauelemente und Bauteile aus Walzprofilen, Stabstählen, Kaltprofilen oder Schweißträger mit üblichen standardisierten Schraubverbindungen verwendet. Die wiederlöslichen Schraubverbindungen sind besonders gut für einen selektiven Rückbau und die Wieder- oder Weiterverwendung geeignet. Hierbei können dann u.a. auch komplette Konstruktionen (bspw. Fachwerkbinder) oder Einzelkomponenten (bspw. Stützen oder Träger) demontiert und später im Ganzen wiederoder weiterverwendet werden. Sollen hingegen auch einzelne verschweißte Bauelemente wiederverwendet werden, dann sind einfache Brennschnitte an gut zugänglichen Stellen eine gleich gute Lösung des selektiven Rückbaues und erlauben dabei auch mehr an Flexibilität für die spätere Wieder- oder Weiterverwendung. Die derzeit am meisten verwendete Stahlbasisgüte in Deutschland ist der S235JR nach DIN EN 10025-2 und dies macht dann die Wieder- oder Weiterverwendung „REUSE - S235“ zudem sehr einfach.
IK-Bau NRW: Welche Schritte sind notwendig, um gebrauchte Stahlbauelemente auf ihre Wiederverwendbarkeit zu prüfen?
Marc Blum: Im Bereich der zerstörungsfreien (ZfP) oder auch der zerstörungsarmen (ZaP) Werkstoffprüfung haben wir bereits im Stahl- und Metallbau umfangreiche, international standardisierte Normen, um sofort gebrauchte Stahlbauelemente auf ihre Wieder- oder Weiterverwendbarkeit hin überprüfen zu können: Alles fängt zunächst einmal mit einer einfachen Sichtprüfung (ZfP) an: Relevant sind hier die DIN EN 13018:2016-06 (Zerstörungsfreie Prüfung - Sichtprüfung - Allgemeine Grundlagen) und die DIN EN ISO 17637:2017-04 (Zerstörungsfreie Prüfung von Schweißverbindungen - Sichtprüfung von Schmelzschweißverbindungen) Ergeben sich anlässlich der Sichtprüfung keinerlei Hinweise auf eventuelle Schädigungen, dann lassen sich über eine (ZaP) der mobilen Härtemessung, eine Umwertung der Ergebnisse die Stahlfestigkeiten ableiten: Hier ist die DIN EN ISO 18265:2014- 02 einschlägig (Metallische Werkstoffe – Umwertung von Härtewerten). Erst wenn mit den zuvor genannten Methoden (ZfP) & (ZaP) keine zufriedenstellenden Ergebnisse gewonnen werden können, dann geht man zu den zerstörenden Werkstoffprüfmethoden über. Da wir uns bei der Wieder- oder Weiterverwendung von Stahlbauteilen i.d.R. auch im Bestand bewegen, so empfiehlt sich hier die Entnahme einer sogenannten „Mini-Probe“ mit einem Ø von 100 mm (entwickelt durch das MPA Berlin), woraus sich verschiedenste Materialproben entnehmen lassen: 1x Zug- oder 1x Druckprobe; 3x Kerbschlagproben (KBZ), 1x Makroschliff zur Gefüge-Identifikation, 1x Spektralanalyse zur Identifikation der chemischen Zusammensetzung.
IK-Bau NRW: Welche Herausforderungen treten typischerweise bei der Demontage und Wiederverwendung von Stahlbauelementen auf?
Marc Blum: Grundsätzlich bedarf es wie bisher beim Abbruch auch bei einem selektiven Rückbau eines interdisziplinären Ingenieurteams, das sich den auftretenden Spezialfragen annimmt; wobei mit der Stahlbauweise aber doch vieles einfacher geht: Bewertung der zirkulären Potenziale der Bauprodukte resp. Bauteile durch eine besonders fachkundige Person (bspw. gibt es hier in AT bereits „Rückbaukundige Personen“ per Recycling-Baustoffverordnung:2016-01),Ingenieure für Schadstoffbewertung, Qualifizierte Tragwerksplaner, welche sich mit dem Rückbau auskennen.
IK-Bau NRW: Wie wird sichergestellt, dass die Qualität und Tragfähigkeit von wiederverwendeten Stahlelementen gewährleistet sind?
Marc Blum: Wie bereits zuvor beim Anwendungsrecht über die ZiE oder vBG dargelegt, müssen projektspezifisch durch besonders sachkundige Personen hier einige Voraussetzungen erfüllt sein. Im CEN/TC 135 zur EN 1090-2 „Ausführung von Stahlbaukonstruktionen“ wurde hierzu kürzlich eine TS (Technical Specification) vorgestellt, wonach man nach bestimmten Protokollen die Qualität und Tragfähigkeit von gebrauchten Stahlbauteilen bewerten und requalifizieren kann: Protokoll A (Stahl ≥ 1970) – komplette. Dokumentation vorhanden (Idealfall) Protokoll B (Stahl ≥ 1970) – Dokumentation nicht komplett, dann Stichprobenentnahme Protokoll C (Stahl < 1970) - Dokumentation nicht komplett, dann erweiterte Stichprobenentnahme Protokoll D (Stahl < 1970) – Dokumentation nicht mehr vorhanden, dann umfangreiche Probenentnahme aller Bauteile Auch hierbei ist es aus Bauherrensicht empfehlenswert, dass hier ausschließlich besonders sachkundige Personen für diese Begutachtungen beauftragt werden.
IK-Bau NRW: Gibt es besondere Projekte oder Beispiele, die Sie hervorheben möchten, um die erfolgreiche Wiederverwendung von Stahl zu illustrieren?
Marc Blum: Ja, es gibt bereits einige Projekte in Deutschland und insbesondere in Benelux, wo gerade feuerverzinkte Stahlkonstruktionen (ideale Symbiose zweier zu 100prozentiger zirkulärer WERTstoffe) wieder- oder weiterverwendet wurden. Dies sind bspw. mobile Parkhäuser oder Treppenanlagen oder kleinere Sporttribünen oder Gewächshäuser, die in anderen Projekten einer neuen Anschlussnutzung zugeführt worden sind. Ich selber arbeite derzeit - als besonders sachkundige Person - auf einigen REUSE Steel-Projekten in Hamburg, Berlin und im Ruhrgebiet, wo wir die Bauteile entweder im Bestand durch Reparatur oder aber durch Requalifizierung zur Wiederverwendung an anderer Stelle im Projekt in den zirkulären Produktkreisläufen halten.
IK-Bau NRW: Was ist für die Zukunft erforderlich, dass mehr an REUSE Steel in den Projekten zu Anwendung kommt?
Marc Blum: Hier sind zunächst die Bauherren und die Projektentwickler durch die Vorgaben der EU-Verordnungen gefordert, an die späteren Fachplaner dann auch die Aufgabe nach mehr zirkulärer Planung und Bauweisen zur richten respektive, auch gezielt zu beauftragen. Die Planer müssen sich aber natürlich auch in Sache zirkulärer Planungsansätze weiterschulen bzw. sich weiterqualifizieren; denn nur durch die Umsetzung zirkulärer Bauweisen können wir beim Bauen ein deutliches Zeichen auf dem Weg zur Klimaneutralität in Europa setzen.
Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW.