Wieso erst Brücken Flüsse zu Lebensadern machen, weshalb wir uns Caesar als Brückenbauer vorstellen sollten und warum der Zustand unserer Brücken zeigt, was wir uns als Gemeinwesen wert sind.
Brücken verbinden Menschen – symbolisch und buchstäblich. Erst der Brückenschlag ermöglicht Handel über natürliche Grenzen hinweg und macht den Fluss zur Lebensader menschlicher Siedlungen. Jeder unbewusste Schritt über eine Brücke ist Ausweis einer Gesellschaft, die sich selbst vertraut. Deshalb erschüttert es das Selbstbild eines Gemeinwesens, wenn eine Brücke dauerhaft nicht ihren Zweck erfüllt, wie im Fall der Leverkusener Rheinbrücke oder sie sogar einstürzt, wie im tragischen Fall der Genueser Morandi-Brücke. Julius Caesar baute keine Brücken mehr, als ihn das Volk Roms zum Pontifex Maximus wählte. Noch weniger taten dies die Päpste, die diesen Titel als antikrömisches Erbe noch heute tragen. Doch der beinah sakrale Wert der Brücke für das Gemeinwesen, der über ihren materiellen Wert hinausweist, hat sich in diesem Titel des „höchsten Brückenbauers“ aus dunkler römischer Vorzeit erhalten.
Ganz profan definiert in Deutschland eine DIN-Norm das Wesen der Brücke: So darf sich jeder Verkehrsweg Brücke nennen, der eine lichte Breite von mehr als 2m überspannt. Allein im Netz der Autobahnen und Bundesstraßen gibt es rund 39.500 Brücken, ihre Gesamtlänge beträgt 2100 km. Das entspricht der Strecke von Flensburg nach Neapel. In Nordrhein-Westfalen kümmert sich der Landesbetrieb Straßenbau, kurz Straßen.NRW, um die Brücken an Bundes- und Landesstraßen und die Autobahn GmbH des Bundes seit Beginn des Jahres 2021 um die Autobahnbrücken. Insgesamt geht es in NRW um rund 10.000 Brücken an Bundes-, Landesstraßen und Autobahnen. Viele dieser Brücken stammen aus der Zeit zwischen 1965 und 1995. Man plant im Brückenbau mit einer Nutzungsdauer von rund 100 Jahren, nicht wenige Brücken haben ihren Zenit überschritten.
Und der Zahn der Zeit nagt schneller als die Brückenbauer erwarten konnten. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nahm der LKW-Verkehr in Deutschland explosionsartig zu. Die Bundesrepublik war nicht mehr Zonengrenzstaat, sondern Transitland in einem Europa ohne Grenzen. Der Straßengüterverkehr wuchs von 287 Mrd. Tonnenkilometern (tkm) im Jahr 1990 auf 614 Mrd. tkm im Jahr 2010 an. Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW und Brückenexperte: „Gerade der Schwerlastverkehr macht den Brücken aus den 60er und 70er Jahren schwer zu schaffen. Ein LKW mit zweimal zehn Tonnen Achslast schadet der Brücke im gleichen Maße wie tausende PKWs. Die damaligen Brückenbauer haben mit dem historisch bedingten Anstieg der Verkehrslast und der heute feststellbaren Anzahl an Fahrzeugen nicht gerechnet. Die vielen Überfahrten lassen sprichwörtlich die Materialien ermüden. Problematisch ist bei vielen Bauwerken nicht so sehr die statische Tragfähigkeit, sondern vielmehr die Ermüdungssicherheit. Deshalb denken wir heute nicht nur an die aktuelle Verkehrssituation, sondern antizipieren die Verkehrsentwicklung über die gesamte Nutzungsdauer einer neuen Brücke.“
Brücken baut man heute meist aus Stahl, Beton oder einer Kombination aus beiden Baustoffen. Mit der Zeit können Risse im Beton und Stahl auftreten und der Stahl kann ermüden. Dr.-Ing. Heinrich Bökamp: „Rissbildung allein ist dabei kein Versagenskriterium. Erst die Größe der Rissbreite in Verbindung mit der Größe der Ermüdungsbeanspruchung durch Verkehr liefert zuverlässige Aussagen über die Gefährdung des Bauwerks. Entscheidend ist daher die regelmäßige Beobachtung durch eine Brückenprüfung. Fortlaufende Unterhaltung – und dazu gehört zweifelsfrei die Brückenprüfung – ist eine gute Investition für jedes Bauwerk.“
Die Vorschriften der Brückenprüfung sind in Deutschland im einheitlichen Regelwerk der DIN-Norm 1076 zusammengefasst: Alle 6 Jahre schreibt die Regel eine umfassende Hauptprüfung der Brücke vor. Ingenieure untersuchen dann auch schwer zugängliche Bauwerksteile, und zwar immer handnah: Bei großen und hohen Brücken geht deshalb nichts ohne den Einsatz von Gerüsten, Hubarbeitsbühnen und sogenannten Brückenuntersichtgeräten. Drei Jahre nach der jeweiligen Hauptprüfung folgt eine einfache Prüfung als „erweiterte Sichtprüfung“. Auch in den übrigen Jahren nehmen die Experten die Brücke in Augenschein. Jeden Mangel halten sie mit einem bundesweit einheitlichen Verfahren in einem elektronischen „a“ fest.
Die DIN 1076 spricht auch eine klare Empfehlung aus, wer die Brücken prüfen sollte: Natürlich nur eine Ingenieurin oder ein Ingenieur, aber nicht irgendein Ingenieur, sondern „ein sachkundiger …, der die statischen und konstruktiven Verhältnisse der Bauwerke beurteilen kann“. Ein solcher Ingenieur sollte ein Hochschul- bzw. Fachhochschulstudium im Bauingenieurwesen abgeschlossen haben, gerne mit der Fachrichtung Konstruktiver Ingenieurbau oder einer ähnlichen Ausrichtung. Eine etwa 5-10-jährige Berufserfahrung im Brücken- bzw. konstruktiven Ingenieurbau ist erwünscht, insbesondere in den Bereichen der Entwurfsbearbeitung, Bauausführung, Standsicherheitsberechnung oder Bauwerksinstandsetzung. 2008 haben das Bundesverkehrsministerium, die Straßenbauverwaltungen der Bundesländer, die Kommunen sowie Ingenieurkammern wie beispielsweise die Ingenieurkammer-Bau NRW sich zu einem Verein zusammengeschlossen, um die Qualität der Prüfung und Überwachung von Ingenieurbauwerken zu fördern. Der „Verein zur Förderung der Qualitätssicherung und Zertifizierung der Aus- und Fortbildung von Ingenieurinnen/Ingenieuren der Bauwerksprüfung“ (VFIB) organisiert seitdem gemeinsam mit seinen Mitgliedern die Fortbildung und Qualifikation und vergibt nach bestandener Abschlussprüfung ein Zertifikat.
Im Interesse der allgemeinen Sicherheit verlangen die meisten, jedoch noch nicht alle Straßenbauverwaltungen bei der Vergabe von Bauwerksprüfungen dieses Zertifikat als Nachweis der Sachkunde. Manche Gebietskörperschaften prüfen ihre Brücken gar nicht. Denn während die Bauwerksprüfung nach DIN 1076 Bund und Länder verpflichtet, ist sie für die Kommunen nur eine Empfehlung. Der Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW, Dr.-Ing. Heinrich Bökamp: „Die Entscheidung, ob und wann eine Brücke geprüft und anschießend saniert wird, hängt in den Städten und Gemeinden nicht allein von der technischen Beurteilung ab, sondern von der Bereitschaft des Kämmerers, Geld für die Prüfung bereitzustellen. Im Interesse der allgemeinen Sicherheit wäre es Ausweis gelebten Verbraucherschutzes, hier auch die Kommunen in die Pflicht zu nehmen.“
140.000 Brücken stehen in Deutschland in der Verantwortung der Kommunen. Die Gemengelage aus empfohlener, aber nicht vorgeschriebener Brückenprüfung und chronisch klammen Haushalten, führt im Ergebnis dazu, dass viele Brücken in den Städten und Gemeinden sich heute in einem kritischen Zustand befinden. Eine Untersuchung des Bundesrechnungshofes Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2013 zeichnet ein beunruhigendes Bild: Nur gut ein Viertel der Kommunen prüfte ihre Brücken überhaupt nach den Vorschriften der DIN 1076. Ein Brückenkataster oder -verzeichnis pflegten nur 18 Prozent der Kommunen und die jährlichen Besichtigungen der Brücken vernachlässigten rund 70 Prozent der Städte und Gemeinden. Dr.-Ing. Heinrich Bökamp: „Es gibt leider keine zwingenden Gründe anzunehmen, dass die Untersuchung der Lage in den anderen Bundesländern ein gänzlich anderes Bild ergeben würde.“
Bereits vor zwei Jahren bemängelte der Deutsche Städte- und Gemeindebund, dass die finstere Finanzlage vieler Kommunen zu einem Mangel an qualifiziertem Fachpersonal und Know-how in den Planungs- und Bauämtern geführt habe. Dieser Umstand leitet zum nächsten Problem über, das nicht nur die Kommunen betrifft, sondern ähnlich für alle öffentlichen Gebietskörperschaften gilt: Sucht die öffentliche Hand in einem Vergabeverfahren ein Ingenieurbüro für die Brückenprüfung nach DIN 1076, erhält oft das billigste und nicht das wirtschaftlichste und beste Angebot den Zuschlag. Fehlt in den Vergabeämtern wegen des Personalmangels die Sachkunde, um die Qualität eines Angebots zu beurteilen, hält man sich als vermeintlich einzig quantifizierbare Einheit an den Preis. Darunter leidet die Qualität von Prüfung, Sanierung und Brückenneubau. Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW: „Beim Neubau einer Brücke sollte am Ende das bestmögliche Bauwerk entstehen, das über seine gesamte Lebensdauer hinweg betrachtet das wirtschaftlichste ist. Solche Lösungen entstehen oft als Ergebnis von Planungswettbewerben. Sie sind ein gutes Mittel, um im Wettbewerb der Ideen die Qualität eines Entwurfs zum entscheidenden Kriterium zu machen und nicht nur den Preis einer Leistung.“
Brücken sind oft weithin sichtbare Landmarken und prägen unsere Baukultur und unser Bild der Landschaft. Spätestens wenn Brücken ihren Dienst versagen, zeigt sich ihre ganze Bedeutung als Verkehrsknotenpunkt und Nadelöhr, deren Ausfall sich nicht einfach durch eine Umleitung kompensieren lässt. Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW : „Brücken sind systemrelevante und sensible Bauwerke, lässt man sie zu Schaden kommen, nimmt auch das öffentliche Leben Schaden und die Menschen verlieren das Vertrauen in ihre öffentliche Infrastruktur. Sicherheit ist ein nicht verhandelbares Gut, dies gilt umso mehr bei unseren vielfältigen Brückenbauwerken.“
Ein Text von Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW