06.12.2024

ChallengING: Ingenieurstudium zwischen Rechenroutine und kreativer Problemlösung

ChallengING: Ingenieurstudium zwischen Rechenroutine und kreativer Problemlösung

Die IK-Bau NRW hat mit der Online-Podiumsdiskussion „ChallengING Herausforderung Ingenieurstudium: Rechenmaschinen oder kreative Problemlöser?“ eine für die Zukunft des Bauingenieurwesens zentrale Debatte geführt. Unter der Moderation von Ralph Erdenberger debattierten Expertinnen und Experten aus Lehre, Praxis und Studierendenvertretungen über die Ausrichtung des Ingenieurstudiums. Dabei war die Perspektive der Studierenden Auslöser und Ausgangspunkt der Diskussion. So startete Ralph Erdenberger dann auch mit einem Kurzinterview seines Neffen, der gerade sein Studium des Bauingenieurwesens an der FG Münster begonnen hat.

Viele Studierende empfinden ihr Studium als zu sehr auf schnelles Rechnen und das Bestehen von Prüfungen ausgerichtet, die Teilwissen abfragen, aber nicht das Verständnis von Zusammenhängen prüfen. Rick Rieck, YouTuber und Bachelorabsolvent im Bauingenieurwesen, berichtete, dass in Fächern wie Stahlbetonbau häufig nur die Fähigkeit zum schnellen Rechnen vermittelt werde, ohne das Thema tiefgehend zu erfassen. Er wünschte sich mehr kleine Projekte, in denen Studierende durch Recherche, Kreativität und Projektmanagement ihr Können unter Beweis stellen können. Auch könnten mündliche Prüfungen dazu beitragen, ein grundsätzliches Verständnis abzufragen. Dabei gehe es keinesfalls darum, Standards abzusenken, sondern im Gegenteil die Grundlagen im Kontext anwendungsorientiert zu prüfen.

Lena Weigl von der Bauingenieur-Fachschaften-Konferenz (BauFak) betonte, dass die Fähigkeit, komplexe Inhalte verständlich zu vermitteln, bei Architektinnen und Architekten selbstverständlich sei. Ingenieurstudierende müssten stärker darin unterstützt werden, ihre Arbeit so zu präsentieren, dass sie von anderen verstanden wird. Sie kritisierte, dass in Prüfungen oft Schnelligkeit beim Rechnen im Vordergrund stehe, anstatt langfristiges Lernen und Verständnis zu fördern. Die fortschreitende Digitalisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) stellen neue Anforderungen an die Ausbildung. Weigl hob hervor, dass es wichtig sei, die Grundlagen zu beherrschen, um KI sinnvoll nutzen und deren Ergebnisse verifizieren zu können. Sie wies darauf hin, dass Misserfolge von Ingenieurinnen und Ingenieuren in der Öffentlichkeit oft stärker wahrgenommen würden als ihre Erfolge. Das könne sich nur ändern, wenn es für Ingenieurinnen und Ingenieure selbstverständlich werde, ihre Leistungen auch in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Prof. Dr.-Ing. Anica Meins-Becker von der Bergischen Universität Wuppertal unterstrich die Bedeutung fächerübergreifender Projekte. Neben der Vermittlung von Fachwissen sei es entscheidend, Zusatzfähigkeiten zu fördern. Sie plädierte dafür, mehr Stolz auf die eigenen Leistungen zu zeigen und das Selbstbewusstsein sowie das Image des Ingenieurberufs zu stärken. Ihrer Beobachtung nach sinke das Engagement der Studierenden im Verlauf des Studiums, was Anlass zur Reflexion gebe.

Aus der Praxis berichtete Prof. Balthasar Gehlen, Partner bei GEHLEN Partnerschaft Beratender Ingenieure und Lehrbeauftragter an der Hochschule Bochum, von veränderten Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Während früher zahlreiche Bewerbungen eingingen, seien Arbeitgeber heute froh, wenn sie überhaupt Bewerbungen erhalten. Dies erfordere eine Anpassung der Arbeitsbedingungen. Gehlen betonte, dass die Handrechnung einen neuen Stellenwert bekommen müsse. Die Fähigkeit, Ergebnisse aus Computerberechnungen überschlägig zu überprüfen und Zusammenhänge zu erkennen, sei wichtiger als das reine Ausführen von Rechenoperationen.

Er stellte fest, dass viele Ingenieurinnen und Ingenieure das Meiste in der Praxis lernen würden. Oft fehle es an einer "Planung der Planung"; man verlasse sich zu sehr auf EDV-Systeme und starte ohne klare Zieldefinition. Gehlen rief dazu auf, innezuhalten und die Ziele zu definieren, bevor man loslegt. Die Herausforderungen der Zukunft erforderten neue Herangehensweisen und ein Bewusstsein für das große Ganze.