Im März 2021 haben wir das erste Mal mit Prof. Dr.-Ing. Markus König, dem Inhaber des Lehrstuhls für Informatik im Bauwesen an der Ruhr-Universität Bochum, über die Digitalisierung im Bauwesen gesprochen. ChatGPT kannte damals noch niemand, heute spricht jeder über die Gefahren und Möglichkeiten künstlicher Intelligenz. Wir haben Markus König gefragt, was sich in den letzten drei Jahren getan hat, was das für die Planungsbranche bedeutet und welche Auswirkungen die KI auf die Ausbildung angehender Ingenieurinnen und Ingenieure hat.
IK-Bau NRW: Nicht zuletzt dank ChatGPT ist künstliche Intelligenz (KI) derzeit in aller Munde. Können Sie kurz erklären, was KI ausmacht und welche unterschiedlichen Arten von KI es überhaupt gibt?
Markus König: Es ist gar nicht so einfach künstliche Intelligenz zu definieren. Wir nähern uns der KI, wenn der Computer den Menschen nachahmt und menschliche Aufgaben übernimmt. Es gibt den berühmten Turing-Test. Dabei möchte man herausfinden, ob der Anwender weiß, ob er mit einem Computer agiert oder mit einem realen Menschen. Merkt man den Unterschied nicht mehr, ist man nah dran an der künstlichen Intelligenz. Dabei sprechen wir heutzutage immer noch von einer „schwachen KI“. Alles, was wir bis heute künstliche Intelligenz nennen, basiert auf dem Prinzip des maschinellen Lernens. Dabei geht es um den Input großer Datenmengen, um Interpolationen und Prognosen und die Arbeit mit neuronalen Netzen. Anwendungsbeispiele sind die Bilderkennung, Schilderkennung, Gesichtserkennung, Spracherkennung und auch Texterkennung. Übertragen auf das Bauwesen wäre typische Anwendungen die Auswertung von Bildern, Plänen, Dokumenten und Punktwolken. Wir haben in Bochum jetzt ein Verfahren trainiert, Symbole auf Plänen zu detektieren. Je größer der Datensatz, umso besser die Leistung der KI. Das erklärt, warum um die Sprach-KI ChatGPT so ein Hype entstanden ist. Mit allen online verfügbaren Texten steht eine enorm große Datenmenge zur Verfügung. Trotzdem sprechen wir auch hier immer noch von schwacher KI.
IK-Bau NRW: Was fehlt denn noch zur starken, autonomen KI? Ist das nur eine Frage der Rechenleistung und somit eine Frage der Zeit? Oder ist völlig offen, ob es überhaupt jemals eine starke KI geben wird?
Markus König: Das ist letztlich eine philosophische Frage. Es gibt Leute, die vertreten die Meinung, schon ChatGPT habe so etwas wie ein Bewusstsein entwickelt. Tatsache ist, wir Menschen verarbeiten immer noch viel mehr Informationen als eine KI. Wir nehmen jeden Tag unendlich viele Daten auf und kreieren daraus etwas Neues. Wir sind multitaskingfähig, wir nehmen Töne, Gerüche und vieles andere auf. Allerdings sind in dieser Denkart die multimodalen KI-Modelle ein Meilenstein, die nicht nur Texte, sondern auch Bilder, Sprache etc. kombinieren. Allerdings fehlt es noch an Rechenkapazität. Quantencomputing könnte das ändern. Mir fehlt allerdings immer noch die Vorstellungskraft, dass ein Computer so kreativ sein kann wie ein Mensch.
IK-Bau NRW: Als wir vor knapp drei Jahren das erste Mal miteinander gesprochen haben, sagten Sie, dass KI im Bauwesen noch ganz am Anfang stehe. Was hat sich hier in den letzten drei Jahren getan?
Markus König: Inzwischen sind viele zuvor nur theoretische Einsatzmöglichkeiten der KI auch in der Praxis eingeführt. Allerdings weniger in Deutschland, dafür eher in Ländern wie China. KI übernimmt beispielsweise die Baustellenüberwachung samt Einlasskontrolle und überwacht, ob Helme, Westen und Sicherheitsschuhe getragen werden. In Deutschland lässt der Datenschutz solche Anwendungsmöglichkeiten derzeit nur sehr eingeschränkt zu. Denkbar und technisch machbar wäre jedoch vieles: Man kann das Material auf den Baustellen tracken, Schadensmanagement, Detektion. Fast alles, was der Mensch visuell prüft, kann auch die KI machen. Es gibt entsprechend auch relativ viele Firmen am Markt, die solche Dienstleistungen anbieten, z. B. auch im Bereich Energiemanagement. Große Datenmengen helfen der KI dann, ein System besser einzustellen. Deutlich weiter weg waren vor drei Jahren noch Anwendungsfälle im Bereich der Konstruktion. Heute gibt es generative Verfahren auf dem Markt, die bei der Auslegung einer Statik assistieren. Wobei Ingenieure, die mit solchen Anwendungen arbeiten, derzeit noch berichten, dass die KI sehr schlichte Antworten vorschlägt. Aber alles, was die Auswertung von Daten, beispielsweise von Berichten, E-Mails etc. angeht, hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Oft sind es Start-ups, die erste kommerzielle Lösungen anbieten. Das Angebot ist in Deutschland noch relativ gering. Einige asiatische Länder oder auch die USA sind einfach viel freier, Dinge auszuprobieren. Das hat etwas mit Datenschutz zu tun. Allerdings ist gerade im letzten Jahr die Nachfrage auch hierzulande merklich angestiegen. Die Fragen betreffen die Auswertung von Plänen, Kennzahlen etc. So etwas funktioniert teilweise schon mit ChatGPT. Ein anderer Einsatzbereich von KI, der mittelbar auch das Bauwesen betrifft, ist die Organisation von Dateien. Gerade in Planungsbüros sammelt sich über die Jahre eine riesige Menge an PDFs an. Die KI erkennt den Inhalt des PDFs und weiß, es handelt sich um einen Grundriss, eine Ansicht, ein Bodengutachten etc.
IK-Bau NRW: Wohin entwickelt sich denn die Forschung zum Einsatz künstlicher Intelligenz im Bauwesen? Was darf man in den nächsten Jahren erwarten?
Markus König: Wir beschäftigen uns mit Genehmigungsverfahren im Hochbau und im Straßenbau. Ich glaube, dass man die ersten schnellen Prüfungen mit Unterstützung der KI beschleunigen kann. Ich stelle mir vor, dass die KI den Planer bei seiner Arbeit begleitet und in Echtzeit Informationen zu Kosten oder zur Regelkonformität bietet. Das wäre eine Assistenzunterstützung, die im laufenden Planungsprozess Hinweise gibt. Denkbar ist auch eine Art Designunterstützung, die Entwürfe im Detail ausarbeitet und dabei die rechtlichen Rahmenbedingungen beachtet. Aber die Idee kommt weiterhin vom Ingenieur und er muss am Ende auch den Output der KI prüfen
IK-Bau NRW: Kann KI helfen, BIM in der Breite stärker zu etablieren und vielleicht auch nutzerfreundlicher zu gestalten?
Markus König: Die Auswertung von 3D-Modellen bieten bereits einige Start-ups an. Dafür muss aber bereits ein Modell vorhanden sein. Was mit KI bereits gut funktioniert, ist das Anreichern von Modellen. Beispielsweise kann die KI Informationen zum Baustoff an jedes einzelne 3D-Objekt anfügen. Man kann sagen, bitte ergänze zu allen Wänden, die die Dicke X haben die Information Y. Schwieriger ist das generative Ausdetaillieren eines Modells auf Basis einer Skizze zu einem 3D-Modell. Auch hier gibt es jedoch Ansätze. Wichtig ist auch die Prüfung der Modelle mit Unterstützung der KI, denn beim Thema BIM geht es ja um kollaborative Zusammenarbeit. 3D-Konstruktionen kennen wir schon länger, jetzt müssen wir zusätzlich die Daten vom einen zum anderen übergeben und hier kann die KI durch Plausibilitätsprüfungen helfen. Auf der anderen Seite entwickelt nicht nur die KI das Building Information Modelling, sondern BIM ist auch wichtig für die KI, weil BIM gut strukturierte Daten liefert.
IK-Bau NRW: Welche Auswirkungen hat KI auf die Lehre? Wie findet sich das Thema KI in den Curricula wieder?
Markus König: KI ist noch nicht wirklich gut verankert im Curriculum. Wir selbst bieten entsprechende Lehrinhalte erst im Masterbereich und im Bereich der Wahlpflichtfächer an. Für die Studierenden, die den Bereich IT vertiefen wollen, gibt es spezielle Veranstaltungen der Informatikfakultät. Insgesamt fehlt mir aber auch für unseren Bachelorbereich eine allgemeine Vorlesung, die sich grundsätzlich mit den Themen Daten, Datensicherheit und KI beschäftigt. Wir wollen den Studierenden an unserer Universität in diesem Bereich eine Grundkompetenz vermitteln. Im nächsten Update der Curricula wird das sicher auch kommen. Aber es ist schwierig, weil wir so viele neue Fachthemen haben, das bedeutet dann noch eine Vorlesung zu KI, noch eine Vorlesung zu BIM. Die Möglichkeiten sind beschränkt und irgendetwas anderes muss dann wegfallen. Also entweder macht man alles immer spezialisierter oder die Tiefe wird reduziert. Für die Arbeitgeber ist eine Ausbildung im Bachelor, die sehr stark in die Breite, aber immer weniger in die Tiefe geht, eher unbefriedigend.
IK-Bau NRW: Muss man den Studierenden Grenzen in der praktischen Anwendung setzen?
Markus König: Wir ermuntern die Studierenden, ihre Hausarbeiten auch von Systemen wie ChatGPT korrigieren zu lassen. Jedoch ist jede Hausarbeit mit einem persönlichen Gespräch verbunden und erst der Gesamteindruck aus dem Gespräch und der Hausarbeit ergibt dann die Note. Man erkennt sehr schnell, ob eine sehr gute Hausarbeit auf eigenen Kenntnissen beruht. Natürlich sind diese Gespräche mit einem großen personellen Aufwand verbunden. Auch Online-Klausuren sind wegen ChatGPT nicht mehr möglich.
IK-Bau NRW: Verändern sich durch die Digitalisierung des Planens und Bauens die Anforderungen an die Studierenden?
Markus König: Gerade die Bauingenieure haben noch nicht völlig verinnerlicht, dass wir in einem digitalen Zeitalter leben. Heute kann man sagen, jeder Ingenieur, der die Uni verlässt, wird auch an einem Computer arbeiten. Das war früher noch anders, da hatte man als Bauleiter auf der Baustelle noch wenig Berührungspunkte mit digitaler Technik. Die digitale Kompetenz wird immer wichtiger. Gleichzeitig kommen die Studierenden mit zu wenig Vorkenntnissen aus den Schulen an die Universitäten. Sie kennen ein Tablet und wissen, wie man es bedient, sitzen dann aber im Konstruktionskurs und haben noch nie eine Maus gesehen. Das heißt, die Kenntnisse sind in mancher Hinsicht schlechter geworden. Frühere Generationen haben ihre Rechner selbst zusammengebaut. Heute wissen viele nicht, wie eine Festplatte organisiert ist. Es muss nicht jeder ein Hardcode-Programmierer sein, aber ein solides Grundverständnis sollte zu Beginn des Studiums vorhanden sein.
IK-Bau NRW: Welche Auswirkung kann Ihrer Einschätzung nach die Digitalisierung auf die Struktur des Planungssektors haben?
Markus König: Digitalisierung bzw. Automatisierung ist dann erfolgreich, wenn ich irgendwas immer gleich machen kann. Konzerne sind dadurch strukturell im Vorteil, sie haben einen ganz anderen Hebel, durch die Digitalisierung Synergien zu erzeugen und ihre Produktivität zu steigern, als kleinere Planungsbüros. Dazu kommt: Digitalisierung kostet erstmal Geld für Hardware, Software, Schulungen und so weiter. Bin ich zu fünft im Büro, dann bindet allein die Fortbildung große Ressourcen und das bei relativ geringen Margen. Ohne Unterstützung durch öffentliche Förderprogramme ist das nicht zu bewältigen. Jedes Ingenieurbüro wird sich zudem die Frage stellen, wie lange werde ich noch am Markt agieren. Die nächsten zehn Jahre wird es noch genug Projekte geben, die man konventionell abschließen kann. Aber es wird immer schwieriger werden, konventionell zur arbeiten. Das bedeutet, ich muss entsprechend investieren, mich vielleicht mit anderen zusammenschließen. Blickt man ins benachbarte Ausland, sind die Ingenieurbüros in Deutschland immer noch vergleichsweise kleingliedrig organisiert. Büros, die sich nicht umstellen, werden verschwinden. Gleichzeitig werden aber auch neue innovative Ingenieurbüros gegründet, die einen besonderen Fokus auf digitale Prozesse legen.
Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW.
Prof. Dr.-Ing. Markus König studierte bis 1996 Bauingenieurwesen mit der Studienrichtung Angewandte Informatik an der Universität Hannover, an der er auch 2003 mit dem Schwerpunkt computergestützte Gebäudeplanung promovierte. Anschließend übernahm er die Juniorprofessur „Theoretische Methoden des Projektmanagements“ an der Bauhaus-Universität Weimar. Im Jahr 2009 wurde er auf den Lehrstuhl für Informatik im Bauwesen an der Ruhr-Universität Bochum berufen. Prof. König leitete die erste wissenschaftliche Begleitung der Pilotprojekte des Bundes zur Anwendung von Building Information Modeling im Infrastrukturbau. Er war Mitglied des Expertenteams zur Entwicklung des Stufenplans „Digitales Planen und Bauen“ des BMVI. Zwischen 2019 und 2023 war Prof. König stellvertretender Leiter des nationalen Zentrums für die Digitalisierung des Bauwesens (BIM Deutschland). Für seine wissenschaftlichen und praxisnahen Aktivitäten zur Digitalisierung des Bauwesens erhielt er 2016 den Preis der Bauindustrie Niedersachsen-Bremen und 2020 die Konrad-Zuse-Medaille des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe.