29.03.2022
Rund sieben Wochen vor der Landtagswahl in NRW lud der Verband Freier Berufe am 24. März zum Parlamentarischen Abend. Den Fragen des Vorsitzenden Bernd Zimmer stellten sich Ina Scharrenbach (CDU), Ministerin für Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, André Stinka MdL, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, Ralph Bombis MdL, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Matthi Bolte-Richter MdL, Sprecher für Wissenschaft, Innovation, Digitalisierung und Datenschutz bei Bündnis 90/Die Grünen und Hans Decruppe von der Partei die Linke.
Zur Begrüßung erinnerte Bernd Zimmer daran, dass nur zwei Flugstunden entfernt Europäer für ihre Freiheit kämpften und mahnte, die Demokratie nicht als selbstverständlich zu erachten, den demokratischen Diskurs zu pflegen und die Demokratie durch die Teilnahme an den Wahlen mit Leben zu erfüllen. So gelte für die Freien Berufe, so wie Zimmer sie verstehe, dass sie nur in einem freiheitlichen und nicht dirigistischen System denkbar wären.
In der anschließenden Fragerunde zeigten sich die Gäste aus der Politik den Problemen und Anliegen der Freien Berufe wohlwollend aufgeschlossen. In manchen Fragen herrschte Konsens, wie etwa dem Bekenntnis zur Selbstverwaltung der Freien Berufe in ihren Kammern. Am deutlichsten wich hier Hans Decruppe von der Partei die Linke ab, der die Versorgungswerke abschaffen und die Altersvorsoge der Freiberufler in der Rentenversicherung organisieren will. Bernd Zimmer, der allen Gästen mit gleicher Fairness begegnete, erinnerte in diesem Zusammenhang an den historischen Ursprung des Versorgungswerkes der Ärzte, das aus der Not heraus geboren wurde, weil die Rentenversicherung diese nicht hätte haben wollen.
Ina Scharrenbach erinnerte zunächst an die Gründung des Instituts der Freien Berufe. Von diesem seien wichtige Impulse für die fortschreitende Modernisierung der Freien Berufe zu erwarten. Die CDU setze sich für eine starke Selbstverwaltung in modernen und zeitgemäßen Kammern ein. Ina Scharrenbach erinnerte in diesem Kontext an das jüngst modernisierte Baukammerngesetz, das die Selbstverwaltung der Architektinnen und Architekten sowie der Ingenieurinnen und Ingenieure auf eine moderne und zukunftssichere Basis setze. Auf die Frage nach einer humanen Arbeitswelt der Zukunft bestritt Ina Scharrenbach energisch, dass es eine solche nicht auch schon heute gebe. Die Pandemie habe gezeigt, dass beispielsweise das Home-Office Freiheit, aber auch Isolation bedeuten könne. Der beste Weg müsse im Dialog zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gefunden werden, eine Home-Office-Pflicht oder gar eine Kontrolle des Heimarbeitsplatzes durch den Staat wolle die CDU nicht. Viel wichtiger sei es, durch faire Wettbewerbsbedingungen ein Klima zu erzeugen, in dem wieder gegründet werde und in dem für Schülerinnen und Schüler sowie für Studierende die Selbständigkeit wieder zu einer echten Option werde. Im Hinblick auf Europa erklärte Ina Scharrenbach, dass sie die Union vor allem als Wertegemeinschaft verstehe. Doch müsse die Rahmengesetzgebung genug Spielraum für einzelstaatliche Lösungen lassen, denn durch Angriffe auf bewährte Qualitätsstandards gerade auch im Ingenieurwesen wachse derzeit der Frust.
Auch laut André Stinka von der SPD habe sich die berufliche Selbstverwaltung bewährt. Die Freien Berufe genössen ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Doch gerade Ärzte und Apotheker im ländlichen Raum gelte es zu stärken. Dazu müsse man bereit sein, wirklich regulierend einzugreifen, so André Stinka. Demnach ließe sich die Wettbewerbsposition der stationären Apotheker gegenüber den Versandapotheken nicht allein durch Lippenbekenntnisse stärken. Auch im vereinten Europa könnten die Freien Berufe ein Stabilitätsanker sein, dafür gelte es zu werben.
Nachdem das Institut der Freien Berufe aufs Gleis gesetzt sei, das Kammerwesen gestärkt, Bürokratie abgebaut und die Digitalisierung vorangetrieben wurde, sei der Fachkräftemangel nun die nächste große Herausforderung, der man sich stelle, so Ralph Bombis von der FDP. Gerade im ländlichen Raum müsse die Attraktivität der Freien Berufe erhöht werden. Mit den sogenannten Gründungsstipendien befördere die Regierungskoalition hier einen Paradigmenwechsel. Dazu bekenne sich die FDP eindeutig zum System der Versorgungswerke.
Auch Matthi Bolte-Richter von Bündnis 90/Die Grünen sieht im Institut der Freien Berufe einen interessanten Ansatz, der jedoch wie in der Wissenschaft üblich einer regelmäßigen Evaluation bedürfe. Auch die Grünen wollten die Freien Berufe von Bürokratie entlasten, ohne jedoch Standards abzusenken. Den größten Hebel sehe Matthi Bolte-Richter in der Digitalisierung von Verfahren. In diesem Sinne biete auch die Flexibilisierung der Arbeit ein enormes Potenzial. Im Hinblick auf den Nachwuchsmangel sieht Bolte-Richter ein gestiegenes Ansehen für Gründer. Man könne diese jungen, meist kleinen Unternehmen durch faire Wettbewerbsbedingungen stärken. Hier knüpfte Bolte-Richter ein zartes schwarz-grünes Band und stimmte ausdrücklich den Ausführungen Ina Scharrenbachs zu.
Hans Decruppe von der Partei die Linke, als Rechtsanwalt selbst Freiberufler, sieht die meist mittelständisch organisierten Freiberufler künftig einem noch größeren Druck durch Konzerne ausgesetzt. Hier gelte es die Freien Berufe vor dem Übergriff des Finanzkapitals zu schützen. Im Blick auf die neue Arbeitswelt mahnte Decruppe an, dass Aufwände im Home-Office ersetzt werden müssten und man nicht die Augen davor verschließen dürfe, dass es auch bei den Freien Berufen prekäre Arbeitsverhältnisse gebe.
Im Ergebnis ein erkenntnisreicher Abend, der vielleicht auch in Anbetracht des Angriffs auf die Demokratie in der Ukraine von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet war. So schloss der Abend mit einer Schweigeminute für die Opfer des Krieges in der Ukraine und in dem Bewusstsein, dass der demokratische Diskurs ein hohes Gut ist, den es zu pflegen und zu verteidigen gilt.